Die Frau, die in die Kälte geht - Chiemgauer Sportlerin startet beim Yukon Arctic Ultra 300 Meilen in Nord-Kanada bei bis unter –40°C


Nicole Dörr, Foto Gottbrath
Viele nennen das obere Priental scherzhaft das „Chiemgauer Sibirien“. Nirgends sind die Langlaufloipen solange gespurt wie in Sachrang. Nicole Dörr aus Huben bei Sachrang mag es gerne noch extremer. Sie nimmt am „Yukon Arctic Ultra“ teil, einem Ausdauerrennen im Yukon Territory (Nord-Kanada). Es gilt als härtester Ultralauf der Welt. Die 44-jährige startet dort über eine Strecke von 300 Meilen, fast 500 Kilometer – nonstop! Ende Januar bricht sie auf in die Kälte.

Wie kommt man auf die Idee, bei so einem Rennen mitzumachen?
Ich bin nicht aus heiterem Himmel drauf gekommen, sondern es war eher eine logische Entwicklung. Ich laufe gerne lang und im Gebirge und je schlechter der Weg ist desto mehr Spaß macht es mir. Beim Transalpine Run – in acht Tagen über die Alpen – habe ich viermal das Ziel erreicht und ich habe bereits an Läufen über 100 km mitgemacht. Ich bin aber nicht nur eine Sportlerin, ich bin auch ein Natur- und Outdoor-Mensch. Mein Mann und ich, wir lieben Wintertouren. Im Winter nach Grönland oder Nordskandinavien, das ist super. Deshalb fühlen wir uns auch im Priental so wohl.
 
Warum hast Du Dich entschieden zu laufen und nicht Ski oder das Bike zu nehmen?
Ich bin einfach eine Läuferin. Das mag ich am liebsten und das kann ich am besten. Das Mountain Bike kommt gar nicht in Frage, denn wenn es Neuschnee gibt, muss man das Rad mit dem ganzen Gepäck schieben. Die meisten Leute benutzen zwar Spezial-Bikes mit superbreiten Reifen, aber für mich ist es so oder so nicht das richtige Vehikel für Schnee. Ski wären eine Alternative… Trotzdem: ich bin eine Läuferin.

Foto: Till Gottbrath
Läufst Du auf einer präparierten Strecke?
Ja und nein. Am Tag zuvor startet in Whitehorse der Yukon Quest, eines der berühmtesten Hundeschlittenrennen der Welt. Dieser Route folgen wir. Dort sind aber nicht nur die Hundegespanne unterwegs, sondern auch Motorschlitten, so dass der Schnee meist recht fest ist. Aber eben nur solange kein Neuschnee fällt. Die Strecke selbst ist durch die Checkpoints im Abstand von 30 bis 70 Meilen vorgegeben. Die müssen wir anlaufen, schon aus Sicherheitsgründen.

Warum startest Du über die 300 Meilen? Es gäbe ja noch kürzere und eine längere Strecke.
Nur wegen 100 Meilen oder gar des Marathons so weit zu fahren, finde ich nicht angemessen. Und 430 Meilen sind mir dagegen zu lang. Außerdem stellen auch die 300 Meilen für mich Neuland dar. Soweit bin ich noch nie unterwegs gewesen. Wenn jetzt alles klappt, kann ich ja später mal die 430 Meilen in Angriff nehmen.

Was jagt Dir denn mehr Respekt ein: die Streckenlänge oder die Kälte?
Die Streckenlänge kann ich mir nicht so richtig vorstellen. 500 Kilometer sind einfach unfassbar weit! Aber dieses Gefühl kenne ich: als wir zum ersten Mal beim Transalpine Run starteten, ging es mir nicht anders. Jeder, der mal einen Marathon auf Zeit gelaufen ist, war danach so platt, dass er sich kaum vorstellen kann, fast acht Marathons an acht Tagen mit jeweils über 2000 Höhenmeter zu laufen. Aber es geht. Und ich hoffe, dass das beim YAU auch geht. Was die Kälte angeht, habe ich Erfahrungen vom Arctic Circle Race in Grönland. Das ist ein Langlaufrennen über 160 km an drei Tagen. Da hatte es nachts –30° C im Camp und beim Start war es fast so kalt. Das ging ganz gut. Ich hoffe, dass ich mit -40° C oder weniger auch klarkomme. Was mir aber am meisten Kopfzerbrechen bereitet ist der Schlafmangel.

Wie lange wirst Du denn schlafen können?
Das kann man vorher nicht sagen. Für die rund 500 km hat man maximal acht Tage Zeit, macht also 62,5 km pro Tag im Schnitt. Wetter, Streckenverhältnisse, Fitness, Renneinteilung und vor allem die Psyche sind die wichtigsten Variablen, die über das Durchschnittstempo bestimmen. Und je nach Tempo kann man eben weniger oder mehr Pause machen. Das Einzige, was ich sicher weiß: ich werde viel zu wenig schlafen! Ich schlafe gern und viel.

Wie lange planst Du, unterwegs zu sein?
Ich habe nur ein Ziel: in der vorgegebenen Zeit das Ziel erreichen.

Das heißt die Platzierung ist Dir egal? 
 Ja, völlig! Bei solchen Events läuft man nicht gegen andere, man will es einfach nur schaffen. Und bislang gab es sowieso kaum Frauen, die überhaupt ins Ziel kamen.

Wie bereitest Du Dich auf diese Strapazen vor?
Es ist eine bunte Mischung an Ausdauersport: lange Laufeinheiten. Ich laufe auch oft zu meinem Arbeitgeber, der schwedischen Sportbekleidungsfirma Craft mit der Deutschland-Niederlassung in Oberaudorf. Außerdem Bergtouren, Langlaufen, Schneeschuhtouren. Als noch kein Schnee lag, habe ich einen alten Traktorreifen durchs Priental gezogen, um mich an das Ziehen zu gewöhnen. Da war ich meist im Dunkeln unterwegs, weil ich mir blöde Fragen ersparen wollte. Derzeit gehe ich zum Einkaufen von Huben mit dem Schlitten nach Aschau. Das sind hin und zurück auch 20 km. Und vor allem tue ich das auch bei richtig schlechtem Wetter, um mich daran zu gewöhnen.

Wie viel Gepäck wirst Du dabei haben?
Es kommt schon so einiges zusammen, so 20 bis 25 kg. Wir haben alles dabei: Zelt, Schlafsack, Kocher, Essen für mindestens 48 Stunden, Reserveklamotten usw. Das alles kommt in eine Pulka, ein wannenförmiger Gepäckschlitten.

Gibt es denn keine Verpflegungsstationen?
Jedenfalls nicht wie bei einem Marathon. An den Checkpoints gibt es eine Mahlzeit und heißes Wasser. Man kann dort auch ruhen, aber nicht immer drinnen. Aber dazwischen ist jeder auf sich selbst gestellt.

Und was wirst Du dann unterwegs essen und trinken?
Gefriergetrocknetes Tütenfutter, weil man nur heißes Wasser dazu kippt und einen Augenblick warten muss. Ansonsten Pemmikan, eine Mischung aus viel Fett, getrocknetem Fleisch und Gewürzen, sowie Riegel. Interessant ist, dass bei solchen ultralangen Touren und speziell in der Kälte der Körper richtig heiß auf Fett wird. Zuhause drehst du dich mit Grausen ab, da draußen läuft dir das Wasser im Mund zusammen!

Und was passiert, wenn ein Teilnehmer einen Unfall hat?
Der YAU findet zum zehnten Mal statt und bisher ist nichts Schlimmes passiert. Ich habe auch den Eindruck, dass der Veranstalter ein sehr hohes Maß an Sicherheitsbewusstsein hat. Zum Beispiel muss jeder Teilnehmer einen Notsignalsender mitnehmen. Dieses kleine Kästchen empfängt per GPS die Position und sendet diese alle zehn Minuten via Satellit an einen Server im Internet. Es gibt also ein echtes Live Tracking. Zusätzlich kann man auch richtig SOS senden.

Und was ist mit wilden Tieren wie Wölfen, Vielfraßen oder Bären?
Bären sollten eigentlich Winterschlaf halten. Und die anderen? Die würde ich zu mindesten gerne mal sehen. Andererseits muss ich zugeben: wenn mich in der Dunkelheit mehrere Augenpaare anstarren, das ist schon etwas gruselig.

Und was sagt Dein Mann dazu? Hat er keine Angst um Dich
?
Nein, ganz und gar nicht, braucht er auch nicht. Er weiß, dass ich keinen übersteigerten Ehrgeiz habe. Nie würde ich etwas erzwingen. Aussteigen ist eine Sache der Vernunft. Ansonsten freut er sich für mich und beneidet mich ein wenig. Er würde selbst gerne mitkommen, kann beruflich aber nicht.

Petra Rapp

Info Yukon Arctic Ultra
Streckenlängen: Marathon, 100 Meilen, 300 Meilen und 430 Meilen
Start: 3.2.2013
Streckenverlauf: von Whitehorse nach Dawson City (je nach Streckenlänge) auf der Route des Yukon Quest
Kategorien: zu Fuß (mit oder ohne Schneeschuhe) Ski, Fahrrad