Wildniswandern - Wie ein Waldspaziergang zum spannenden Naturerlebnis wird

Kerstin mit Ayla im Wald bei Grub
Frühmorgens in der Nähe der Grubmühle an der Bahnstrecke Holzkirchen-Rosenheim. Die Mangfall zeigt sich an diesem Fleck als ungezähmter, weitgehend naturbelassener Fluss. Ziemlich idyllisch hier im Wald, wäre auch ein schöner Trail mit dem Mountainbike oder auch zum Laufen – und wird auch dafür genutzt, wie Reifenspuren auf dem zum Teil ziemlich matschigen Weg zeigen.

Doch wir sind heute viel ruhiger unterwegs, ohne sportiven Anspruch, suchen ganz andere Spuren. Spuren von denen, denen der Wald ja eigentlich gehört: den Tieren und den Pflanzen, die hier ursprünglich leben und wachsen, soweit der Mensch sie noch lässt. Spuren, die man nur entdeckt, wenn man mit wachen Sinnen unterwegs ist und sich einlässt auch auf ungewohnte Dinge. 

Tierische Hinterlassenschaften
Dagmar pirscht sich ins Unterholz und stochert mit einem Stöckchen in einer eingetrockneten, weißen Masse. „In dem Gewölle ist sogar noch eine Kralle“, sagt sie begeistert über die tierische Hinterlassenschaft. Ein paar Meter entfernt liegen ein paar weiße Federn. „Von welchem Tier denkst Du, könnte beides stammen“, fragt sie mich. Fuchs, Marder, Eule, Uhu, Bussard, Entenvogel? Noch bin ich ziemlich ahnungslos. Dagmar ist ausgebildete Wildnispädagogin, die das Spurenlesen liebt. Sie gibt mir noch ein paar interessante Hinweise über Fundort und Lage, aber verrät nichts Genaueres. Sie will mich leiten, aber ich soll es selbst herausfinden. Die Vögel werden allmählich wach und stimmen ihr Morgenkonzert an. Kerstin, ebenfalls Wildnispädagogin und die Vogelexpertin im vor kurzem gegründeten, auf Wildniswanderungen spezialisierten „Oberwild“-Team, sortiert für mich das Stimmendurcheinander von Waldkauz, Ringeltaube und mehr. „Du musst ‚Rehohren‘ machen, die Hände als verlängerte Ohrmuscheln benutzen, dann kannst Du die Laute besser orten“, erklärt mir Dagmar und macht es vor. 

Schnitzeljagd der besonderen Art
Ayla, die Mischlingshündin von Kerstin wird unruhig. Sie will weiter, hat etwas gewittert. Einige Meter entfernt liegt ein Knochen auf einer kleinen Lichtung, daneben wieder einige Federn, laut Kerstin Fingerfedern und Armfedern. Hier muss wohl ein großes Festmahl stattgefunden haben. Warum genau hier, wann und von wem? Stehen diese Spuren mit denen von vorher irgendwie in Zusammenhang? Viele Fragen im immer spannender werdenden Naturpuzzle, ein weiteres Detail in dieser etwas anderen Art von „Schnitzeljagd“. Dagmar und Kerstin zeigen, wie man aufgrund der Beschaffenheit und Länge des Knochens auch hier weitere Rückschlüsse ziehen kann. 

Neue Perspektive
Mein Blickwinkel verändert sich im Laufe der Wanderung immer mehr. Die Sinne sind inzwischen ganz im hier in der Natur, der Alltag weit weg. Zwischen den Zähnen frische, essbare Blütenblätter. Ein paar Gänsesäger landen auf dem Wasser der Mangfall, ein geplündertes, großes Vogelei unten in Wassernähe als weiteres Teil im großen Naturmosaik dieses Waldstückes. Und schließlich weht der Wind das Geschnatter jener Tiere herüber, auf deren Überreste wir immer wieder stoßen: von Füchsen und Greifvögeln geraubte Gänse der Farm in Niederaltenburg. Der Mensch in der Rolle des stillen Beobachters als Teil davon fühlt sich ziemlich gut an! 

Text und alle Fotos: Petra Rapp


Im Interview: „Wir wollen Sehnsucht stillen“



Dagmar Steigenberger (links) und Kerstin Wägner (rechts) sind neben ihren Hauptberufen als Journalistin bzw. Erzieherin beide ausgebildete Wildnispädagoginnen. Sie haben sich mit Oberwild (www.oberwild.com) ein besonderes Konzept einfallen lassen, Menschen die heimatliche Natur wieder näher zu bringen. Unsere Redaktion sprach mit ihnen.

Oberwild, ein spannender Name – Was steckt dahinter?
Steigenberger: Wir wollen mit den Menschen wild durch die Natur, in den Bergen hier im Oberland südlich von München unterwegs sein und mit ihnen dabei den Wurzeln des Lebens wieder ein Stück näher kommen. Wildniswandern bedeutet für uns, eine Zeit lang mitten in der Natur und möglichst achtsam im Einklang mit ihr zu leben.
Was sollte man dafür mitbringen?
Wägner: Offenheit, Zeit und Flexibilität, was Ziele anbelangt. Wir lassen uns von der Natur leiten und Wandern ist immer Abenteuer. Wandern verändert immer unseren Standpunkt, egal ob wir nur den Geist auf Reisen schicken oder unsere Füße mit dazu nehmen. 
Was wollen Sie Ihren Teilnehmern mitgeben?
Wägner: Wir wollen die Sehnsucht nach der uralten Verbindung zwischen uns und der Wildnis, die durch zahlreiche technische Errungenschaften für viele kaum mehr spürbar ist, stillen. Die Menschen erleben lassen, was es bedeutet, weitgehend unabhängig von Supermärkten, heißer Dusche und elektrischem Licht in harmonischer Verbindung mit der Natur zu leben. Wir zeigen ihnen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten wir beim Unterwegssein in der Wildnis nutzen können und wie wertvoll dabei jede/r einzelne in der Gruppe ist. 
Welche Programme bieten Sie an?
Steigenberger: Wir bieten passend zur Jahreszeit spezielle Wildniswanderungen – auch in Vollmondnächten - oder Wildniswochenenden an, die auf einer Selbstversorgerhütte stattfinden. Wir machen uns mit Kindern zum Kindergeburtstag auf zu wilden Wegen oder bieten Themenwanderungen zur Sprache des Waldes, zum Spurenlesen oder auch diverse Workshops.

Info: Coyote-Teaching und mehr

Beim Coyote-Teaching - eine neue Art des Lehrens in der Wildnispädagogik - geht es darum, der Aufmerksamkeit des Schülers zu folgen und durch geschicktes Fragenstellen den Funken der Begeisterung weiter zu nähren. Auch das Erzählen von spannenden Geschichten aus der Wildnis, das Lernen von Fertigkeiten wie Feuermachen und Spurenlesen, das Herstellen von Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen aus Naturmaterial gehört zu dieser neuen Art der „Schule in der Natur“. Coyote-Teaching basiert auf den Lehren von Jon Young und Tom Brown, Gründern der Wildnisbewegung. Mehr dazu unter http://8shields.com/, www.trackerschool.com.

Wildnisschulen in Europa: http://wildnisschulenportal-europa.de/
Wildnisschulen in Deutschland: http://www.wildnisschulen.org/
Wildnisschulen in Bayern: http://www.wildnisschulen-bayern.de/


Buchtipps zum Wildniswandern:

„Tierspuren“ von Lars-Henrik Olsen
Alle Tierspuren - vollständig, übersichtlich, mit Fotos und Zeichnungen; Fährten, Fuß- und Fraßspuren, Losungen, Gewölle, Baue und Verstecke, Suhlen und andere Spuren. Die heimischen Säugetiere in Porträts mit Lebensweise, Spuren und Verbreitungskarte. ISBN 978-3-8354-0965-1, € 19,95, BLV Verlag

„Essbare Wildkräuter und Wildbeeren für unterwegs“ von Rudi Beiser
Das Kosmos Bestimmungsbuch für unterwegs bietet einen guten Überblick: „Wissen zum Mitnehmen“ im handlichen Format. Praktisch ist die Einteilung nach Lebensräumen in Farbcodes. Das macht es vor allem Einsteigern noch leichter und garantiert bei der Artenbestimmung schnelle Erfolgserlebnisse. ISBN 978-3-440-13072-8, € 8,95, Kosmos Verlag