Wandern Frauen anders? Wanderprogramme speziell für Frauen boomen – ein Erfahrungsbericht aus männlicher Sicht

Foto: Norbert Eisele-Hein
Regelmäßig treffen sich wanderbegeisterte Frauengruppen in Reit im Winkl, um sich gemeinsam mit einer Wanderführerin kostenlos auf den Weg zu machen. Autor Norbert Eisele-Hein hat sich in dieses „Frauen wandern anders“-Programm eingeschmuggelt und berichtet über seine Erfahrungen zum Thema.

„Nein, wir reiten nicht auf Besen“, erklärt Annette Heigenhauser scherzhaft. „Wir tanzen auch nicht ums Lagerfeuer. Schauen Fliegenpilze nur an und kochen daraus keine Flugsalbe, um damit Männer zu vergiften“, fügt sie lachend hinzu. „Unser ‚Frauen wandern anders‘-Programm sollte auf keinen Fall als überzogener Emanzipierungsversuch aufgefasst werden. Es geht vielmehr darum, eine wunderschöne Wanderung rings um die Bergwelt Reit im Winkl’s mit Frauen-spezifischen Themen anzureichern. Und da bleibt Frau einfach mal gerne unter sich.“ Nach einer kleinen Vorstellungsrunde checkt die ausgebildete Wanderführerin noch die Ausrüstung der TeilnehmerInnen und schon geht’s los.

Foto: Norbert Eisele-Hein
Tautropfen blinken im Gras, Sonnenstrahlen brechen sich im Astgewirr. Von der Hindenburghütte, knapp 1250 Meter über dem Meeresspiegel, marschieren wir mit flottem Tempo hinauf zur „Höhe“. Auffällig und angenehm, die Damen drängeln nicht. Wir Männer hätten schon längst wieder die Ellbogen ausgefahren. Einen Blick auf die Pulsuhr geworfen. Versucht, Erster zu sein. Dabei stellt sich die Frage heute ohnehin nicht. Denn allen voran prescht die Hundedame Paula, die Vierbeinerin von Annette. „Als kleines Mädel durfte ich oft mit meinem Großvater mit. Er war Holzknecht und fast immer fern der Hauptwanderwege unterwegs. Er hat mir diese Geheimpfade gezeigt“, erklärt Annette. Auf der Höhe reicht der Blick über das Achental bis hinunter zum Chiemsee. Ein schön geschwungener Wanderweg führt uns zur Hemmersuppenalm. Weiter geht’s mit schnellem Tempo zur Sankt Anna-Kapelle. Die heilige Anna, die Mutter Marias, gilt als Schutzpatronin für Fruchtbarkeit und Kindersegen. „Dies ist ein wahrer Kraftplatz. Eine todkranke Frau wollte hier einen letzten schönen Sommer verbringen. Sie trank täglich aus der nahen Quelle und galt schon bald als geheilt“, erzählt uns Annette. Wir genießen die Stille in dem gepflegten Kleinod. Füllen unsere Wasserflaschen natürlich auch an der Heilquelle. „Das Wasser soll auch zu faltenloser, schöner Haut verhelfen“, verheißt Annette. 

Foto: Norbert Eisele-Hein
Kurz vor der Pflegereck-Hütte ziehen wir die Schuhe aus. Ein Barfußpfad führt uns über Stock und Stein, butterweiche Moose und feuchtes Gras. Zugegeben - ich als Mann wäre wohl achtlos durch gestapft. Aber Annette fordert uns auf aktiv zu fühlen, riechen, sehen. Sie legt auch stets ein besonderes Augenmerk auf die heimische Flora und Fauna. Zeigt uns Frauenschuh-Orchideen, deutet wie ein Indianer-Scout auf Spuren von Rotwild. Trotz alledem halten die Damen ein stattliches Tempo. An der Pflegereck-Alm packt Anette einen frischen Laib Brot, Wurst, Käse und Radieschen aus. Die Speisen landen wohlarrangiert auf einem Spitzendeckchen. Oh, ja da ist er wieder, der feine Unterschied. Ich behalte es für mich, dass ich mir wahrscheinlich nur schnell einen Müsliriegel in „die untere Gesichtshälfte zentriert hätte“. Weiter geht es unterhalb einer Felswand auf einem hüftbreiten, teilweise exponierten Steiglein. „Nehmt Euch einen Handschmeichler mit. Einen formschönen Stein, ein kleines Stück Wurzelholz oder Rinde. Macht euch Gedanken über eure Wünsche, Ziele, Hoffnungen.“ Wie aus dem Nichts taucht mitten im Felsbalkon eine kleine Grotte mit einer Madonnenstatue auf. „Berührt den Fels. Den Handschmeichler mit all euren Gedanken könnt ihr an diesem Kraftort ablegen,“ empfiehlt Annette. Die TeilnehmerInnen wirken nachdenklich, bewegt. Aber schon nach einer kurzen Weile sorgt eine hyperaktive Murmeltierkolonie, die sich ausgiebig auf einer Waldlichtung balgt, für ausgelassene Stimmung. Fünf Stunden und 400 Höhenmeter später gelangen wir wieder zur Hindenburghütte. Fazit aus männlicher Sicht: Frauen wandern tatsächlich anders! Viel offener, intensiver, esoterischer – aber kein bisschen langsamer. Wie gut, dass die Hüttenwirtin Sissy Dirnhofer berühmt für ihre grandiosen Braten und hausgemachten Strudel ist. Infos: http://www.reitimwinkl.de/sommerurlaub/frauen-wandern-anders